Cem der 40

Cem der 40

Die Cem-Zeremonie und die Rituale, die im "Cem" zelebriert werden, sind äußerst wichtig für das Verständnis des Alevitenturns in Bezug auf die Menschheit. Die Herkunft des Wortes "Cem"wird wahrscheinlich auf das Arabische zurückzuführen sein. worin "dscham" so viel wie "Versammlung" bedeutet. Die Verbindung des Wortes "Cem"zum Persischen "jam" ist an dieser Stelle auch interessant. da es "Kelch" bedeutet und ein Kelch auch in alevitischen Ritualen eine wichtige Funktion einnimmt.
Die Cem-Zeremonie zu verstehen, heilßt einen wichtigen Teil des Alevitenturns zu verstehen, denn sie spiegelt das Grundverständnis von Nächstenliebe, Gleichheit und der Einheit der Menschen wider.

"Aleviliğin kalbi cem'de atar. Aleviliğin sırrı cem'de yatar"
("Das Herz des Alevitenturns schlägt im Cem. Das Geheimnis des Alevitenturns liegt im Cem.")

 Daher hat jede Bewegung und jedes gesprochene Wort im Cem eine religiöse, kulturelle sowie-wenn man es so nennen mag - soziale Bedeutung. Wenn man nach dem Ursprung des Cems forscht, so gelangt man zur Erzählung des "Cem der 40" (türk.: "Kırklar Cemi"). Diese Erzählung handelt von der ersten Cem-Zeremonie:

Erster Teil der Erzählung: 
Der Prophet Mohammed sieht, dass es eine Versammlung gibt und klopft an die Tür um eintreten zu dürfen. Er stellt sich als der Prophet Mohammed vor und bittet um Einlass, jedoch wird ihm die Tür nicht geöffnet. Er versucht es ein weiteres Mal und stellt sich wieder als der Prophet Mohammed vor, doch niemand öffnete ihm. Stattdessen erhält er die Antwort, dass es in dieser Versammlung keinen Platz für einen Propheten gebe. Er solle weggehen und der Prophet seiner "Ummah" (Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist die "islamische Gemeinde") sein. Als Mohammed wieder klopfte und sprach, "Ich bin auch ein armer Sklave, wie ihr es seid!", wird ihm der Einlass gewährt.

Bedeutung: 
Der erste Teil der Erzählung vom .. Cem der 40" macht darauf aufmerksam, dass es beim Cem
keinen sozialen Rang mehr gibt. Die sozialen Unterschiede (arm-reich, Beruf, politische Titel usw.) werden zugunsten einer "Einheit aller Menschen" aufgelöst. Im Cem gibt es daher kein Du und Ich, sondern lediglich ein Wir. Die Erzählung symbolisiert dies auf eine sehr anschauliche Weise durch den Ausschluss des Propheten Mohammed von der Versammlung. Sein "Titel" ist für den Cem bedeutungslos. Mit Eintritt in den Cem legt der Mensch somit seinen sozialen Status ab.

Zweiter Teil: 
Nachdem Mohammed in die Versammlung eingetreten ist, fragt er nach der Identität der Menschen und wer das Oberhaupt dieser Versammlung sei. Die Menschen entgegnen ihm, dass man sie die "Vierzig" nenne und sie kein Oberhaupt hätten, denn jeder sei hier gleichgestellt. Mohammed beginnt zu zählen und kommt auf insgesamt 39 Männer und Frauen. Er fragt, wo denn der Vierzigste sei und die Leute antworten. dass er draußen stehe und sein "Amt" wahrnehme. Mohammed zweifelt an der Glaubwürdigkeit der Menschen und fordert Beweise.
Einer der Personen nimmt ein Messer und schneidet dem Heiligen Ali in die Hand, sodass Alis und die Hände der 39 Anderen zu bluten beginnen. Sobald die Blutung Alis gestoppt wird, fließt auch kein Blut mehr bei den Anderen.

Bedeutung: 
Dieser Teil der Erzählung symbolisiert die. Gleichheit zwischen Mann und Frau sowie den Menschen im Allgemeinen untereinander. Dass die Wunde des Heiligen Ali, auch die Wunde aller anderen Menschen in der Versammlung geworden ist, verdeutlicht die Solidarität, die zwischen den Menschen herrschen muss. Das heißt, die Sorgen und die Wunden des Einen. sind auch die Sorgen und Wunden der Anderen und alle füreinander verantwortlich sind.

Dritter Teil: 
Als eine Traube in die Mitte der Versammlung gebracht wird und Mohammed die Aufforderung er hält, diese für die Vierzig aufzuteilen, weiß dieser nicht, wie er zu handeln hat. Aber "Hak" (arab.: "haqq" deutsch: "Wahrheit"; Synonym für Gott) hilft ihnen und aus der Traube wird Wein. Die Vierzig trinken von diesem Wein und beginnen den rituellen Tanz "Semah" zu tanzen.

Bedeutung: 
Im Vordergrund steht an dieser Stelle das solidarische Teilen und Genügsamkeit.

Vierter Teil: 
Mohammed fragt nach dem "Pir" (deutsch: der Älteste) der Vierzig. Sie entgegnen ihm, dass der Heilige Ali ihr "Pir" sei. Als Mohammed an Alis Hand einen Ring wiedererkennt den er zuvor an einem Löwen auf seiner Himmelsfahrt gesehen hatte, verlassen ihn alle Zweifel und er schließt sich dem Semah an.

Bedeutung: 
Der Heilige Ali verkörpert in dieser Erzählung die "Manifestation Gottes" bzw. einen ganz
bestimmten Heiligenstatus. Da aber auch Ali ein "einfacher Mensch" war. ist die Bedeutung auch auf den Menschen zu übertragen. Das heißt. dass der Mensch in direkter Verbindung zu Gott steht und diesen auch in sich trägt. Daher sprach auch Hünkar Haci Sektasch Veli im 13. Jahrhundert: "Was du auch suchst, suche es in dir selbst". Es beleuchtet also die mystisch-metaphysische Seite des Cems.

An der Erzählung von den Vierzig wird deutlich, dass die Cem-Zeremonie nicht nur einen religiösen und kulturellen, sondern auch einen starken sozialen Charakter besitzt. Dieser kommt an vielen Stellen zum Ausdruck: Wir wissen, dass keine Zeremonie ohne das Einvernehmen (türk.: "rızalık") aller Teilnehmer beginnen darf oder dass es keine Trennung zwischen Frauen und Männern gibt. Das Wesen des Cems macht also die humanistische Gemeinschaft aus.


Mazlum Dogan
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